Stuttgartlauf- Halb am Ziel. #teroddathon

Solltet ihr mich fragen, was an der ganzen Sache am Schlimmsten war, werde ich vermutlich nicht antworten die 21km und die doch recht warmen Temperaturen.
Es war die Woche vorher. Und es war die Treppe vor Block 46 der Cannstatter Kurve nach dem Lauf.
Ich schlief kaum, meine Beine waren schwer wie Blei, ich fühlte mich kraftlos. Wie sollte ich den bitte so einen Halbmarathon schaffen ? Kopfschmerzen kamen dazu und das ganze bei Temperaturen jenseits der 30 Grad. Träumchen. Dienstagabend dreht sich mir zu allem Übel noch der Magen rum. Muss das sein jetzt ? Ich hab mich so gut vorbereite, habe mich durch etliche lange Läufe gequält, das darf nicht wahr sein. Samstags wache ich mit Halskratzen auf. Super. Jetzt wirst du auch noch krank. Wir fuhren trotzdem nach Stuttgart, der Freund, seine Mutter und ich. Sie würde mich begleiten. Sie hat schon alles geschafft, 100km Rennen so ziemlich jeden Marathon in und um Deutschland- irgendwie wird sie mich sicher durchbringen. Wir holen also unsere Startnummern und ich kann nicht sagen dass ich mich dabei wohlfühle. Diese Menschen um mich rum, die alle so fit aussehen-und dann ich. Mit meinen lauchartigen Waden, Ärmchen und den Oberschenkeln denen man das Lauftraining mittlerweile zumindest etwas ansieht zwischen durchtrainierten Überkörpern. Auch der Ausflug in die Stadt bessert meine Laune nicht. Horrorszenarien in meinem Kopf: Was wenn ich umkippe ? Ins Krankenhaus muss ? Sterbe ? Ich regele innerlich schon meinen Nachlass. Maßlos übertreiben- eine meiner Schwächen. Mein Bruder witzelt. Diese negative Einstellung muss wohl am Neckarstadion liegen. Genau.  Irgendwann keimt dann eine Idee in mir auf, die ich bei der lieben Lou von Fittrio bei ihrem Marathon gesehen habe: Sie hat sich für jeden Kilometer eine Person aufgeschrieben für die sie laufen möchte, über die sie auf diesem Kilometer nachdenkt. Ich öffne meine Memofunktion am Handy. Kilometer 1-7: liebe Menschen die gegen eine schlimme Krankheit verloren haben oder noch kämpfen. Kilometer 8-15: VfB und liebe Freunde. Kilometer 15-19: Menschen, die der Meinung sind ich kann nichts. Kilometer 20 und 21: Für mich und für meine Eltern.
 
Am nächsten Morgen geht's los. Meine Nerven flattern so sehr, dass ich in der Startaufstellung den Schwamm den ich dabei habe erst mal brauche um Tränen zu trocknen. Dann geht's los. Wir sind auf der Strecke. Die ersten zwei Kilometer denke ich super. Du wirst ja gar nicht richtig warm. Das wird nie was. Ich schiebe die Gedanken zur Seite. Denke an meine verstorbenen Großeltern, meinen Onkel denen ich diese Kilometer widme. Wären sie nicht stolz auf mich ? Und schon kommt das Schild mit Kilometer 5. Hupsa. Knapp über 30 Minuten. Wäre Zeit für ein ersten Gelshot. Grandios pfeffere ich die ganze Packung auf den Boden. Kurz zurück laufen, aufsammeln. Weiter. Man soll ja Energie zu sich nehmen bevor man Hunger bekommt. Es geht ein Stück den Berg hoch. Irgendwo Menschen im VfB Trikot. Ich klatsche ab. Es geht den Berg runter. Und schon ist da das Schild mit Kilometer zehn. Irgendwas knapp unter 1:10 auf der Uhr. Ich laufe hier, ich bin in meinem Rhythmus meine Hüfte zwackt etwas aber okay. Immer wieder unterhalte ich mich mit meiner Begleitung. An den Verpflegungspunkten mache ich meine Schwämme nass, nutze die Straßenduschen trinke auch immer wieder einen Schluck Wasser, obwohl ich den Trinkrucksack ja dabei hab. Irgendwann zwischen Kilometer 11 und 12 krampft mein Unterleib- ich sage der Begleiterin Bescheid. Ruhig weiterlaufen sagt sie. Mache ich. Esse noch ein Powershot. Kann jetzt entweder helfen oder noch schlimmer werden. Hilft.  Kilometer 14. Alter, du hast hier über die Hälfte geschafft. Ich denke an die Menschen die mich immer gehasst, haben, ausgelacht haben. Ich könnte hier gehen aber dann könnten sie ja wieder über mich lachen. Also weiter. Innenstadt Bad Cannstatt. Kopfsteinpflaster. Wirklich ? WIRKLICH ? Es ist nicht so dass meine Hüfte schon weh tut. Zum Glück sind es nur circa 20 Meter. Vielleicht auch mehr. Als ob ich Distanzen noch wirklich abschätzen könnte. Kilometer 17 irgendwas. Andi und Niklas sagten mir es würde zwischen 18 und 19 noch eine Steigung hochgehe, die wäre heftig aber sie wollen mich nicht verunsichern. Irgendwie hab ich jetzt Angst. Als wir aus dem Tunnel kommen kurz bevor man links in Richtung Cannstatt Bahnhof läuft flimmern mir die Augen. Scheiße. Jetzt bitte nicht Kreislauf. Ich denke an Niklas' Worte, dass letztes Jahr auch kurz vorm Ziel noch welche umkippten. Ich nicht.  Zum Glück kommt kurz darauf ein Verpflegunspunkt mit Iso. Irgendwie reicht das in meinem Rucksack nicht aus. Also schnapp ich mir eins. Nochmal unter der Dusche durch. Ein Wasser über den Kopf. Ich merke gar nicht dass ich wieder normal sehe. Die Steigung hoch. Ah, das Cannstatter Karre, da hab ich mir doch erst die Nägel machen und da stand doch unser Auto. Ja das tut jetzt schon etwas weh in der Hüfte, aber hey warum sollte ich jetzt gehen ? Ich will 21 km durchlaufen. Das erklärte Ziel. Ich hangle mich von Parkverbot zu Parkverbot Schild, die Begleitung sagt langsam, gut durchschnaufen, wir kommen gleich an. Eingang Gästefans. Auf dieser Seite der Arena sind wir nie. Aber das heißt auch dass wir gleich da sind. Ein kleiner Bogen noch und ich sehe das Stadion. Und kurz davor : Meine Family, der Freund, die liebe Chiara. Ich bin da. Bei 2:45 drücke ich Stop auf der Uhr. 2:30 hatte ich mir vorgenommen, egal.



Und was soll ich jetzt machen ? Wieder normal gehen ? Alter, meine Hüfte zwickte doch nur ein bisschen wieso tut das jetzt so weh dass ich mich kaum mehr bewegen kann ? Ich weiß gerade gar nichts mehr. Ich habs geschafft, ich freue mich irgendwie. Oh, ich habe plötzlich ein Bier in der Hand. Irgendwelche Männer erzählen mir so sahen Sie nach Ihrem ersten Halbmarathon auch aus. Haha. Okay. Jetzt möchte ich eigentlich nur noch zu meinen Liebsten, mich drücken lassen. Kalt wird mir auch. Ich bin ja klatschnass, stelle ich fest. Habe ja jede Dusche mitgenommen. Aber da ist plötzlich ein Treppe. Da oben gibt es die Medaille. Hat sich Simon Terodde eigentlich auch so gefühlt als er auf die Tribüne musste um die Meistermedaille abzuholen. Egal, ich zieh mich da jetzt irgendwie hoch. Oben angekommen hängt mir jemand eine Medaille um den Hals. Ich sage der Begleitung dass ich jetzt wohl sterbe. Sie meint, dass vergeht schon. 21km lang ging es mir nicht so schlecht wie jetzt. Was soll das ? Wir müssen nochmal eine Treppe runter und zum WM-Denkmal. Hier standen wir auch vor so ungefähr 6 Monaten nach der Wette. Aber da tat das alles nicht so weh. Irgendjemand will Fotos machen. Okay. Lächeln geht aber nicht mehr sorry. Ich setze mich auf den Boden. Hole mein Maskottchen Jogi aus dem Wasserrucksack. Das Handy. Trinke zwischendrin, lasse mich beglückwünschen. Irgendwie ist das alles noch nicht ganz so präsent. Als ich wieder aufstehe geht es. Ich gebe noch meinen Chip zurück, drücke Papa den Autoschlüssel in die Hand. Fahr mich heim. Am Auto ziehe ich erst mal trockene Sachen an. Verabschiede und bedanke mich bei meiner Begleitung. Und so langsam kommt das Glücksgefühl. Ich habe es geschafft, ich habe gesiegt. Gegen meinen Kopf, gegen meine Zweifel ich bin angekommen. 21,195 Kilometer ohne eine einzige Gehpause.

Ja, es tat weh !
 
Jetzt heißt es erst mal regenerieren. Mit viel Franzbranntwein, Black Roll und Schlaf. Ja Schlaf, von Montag auf Sonntag schlafe ich erholsam wie lange nicht. Die Hälfte des Ziel ist erreicht. Aber beim Fußball hört man ja auch nicht nach der Vorrunde auf und nach dem Halbmarathon ist vor dem Marathon.

Kommentare

  1. Gut gekämpft Jennifer!
    Die Strecke des Stuttgart HM ist fies, immer mal wieder ne leichte Steigung und gerade die nach dem Cannstatter Carre saugt einem die letzte Kraft raus. Egal wie schnell man unterwegs ist ;-)
    Immerhin weißte jetzt wie stark dein Wille ist und wenn jetzt noch etwas trainierst und den Willen behälst packste den ganzen Marathon!

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